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Frankl, KI und die Reduktion des Menschen

Durch Zufall, und viel zu spät in meinem Leben (aber immerhin überhaupt), bin ich auf das grossartige Werk von Viktor Frankl gestossen. Gestern las ich einen Aufsatz aus dem Jahr 1965. Eine Passage daraus hat mich besonders beeindruckt.

Frankl beschreibt, wie es geschieht, dass Wissenschaft in Ideologie umschlägt: nämlich dann, wenn Wissenschaft den Anspruch auf «Totalwissen» (Jaspers) erhebt. Exakt diese Entwicklung erleben wir heute im Kontext von KI. Wir überlassen es immer mehr der Data Science, uns die Welt – und den Menschen – zu erklären.

Die Vorstellung, dass KI – in Form von Data Science – den Menschen je vollständig erfassen, übertreffen oder gar ersetzen könne, ist nicht nur eine Vereinfachung (simplification terrible) , sondern eine gefährliche Generalisierung (généralisation terrible).

Und welches Beispiel wählt Frankl, um genau das zu illustrieren? Die Reduktion des Menschen auf eine Maschine, auf einen biochemischen Mechanismus, oder eben, auf einen Computer! Genau diese Reduktion erleben wir heute stärker denn je zuvor. Die Idee, dass das menschliche Denken und Fühlen nichts weiter seien als berechenbare Prozesse, ist reductionism in Reinform.

Und damit nicht genug: Der gelehrte Nihilismus mag bloss ein intellektueller Irrtum sein. Mit intellektuellen Irrtümern können und müssen wir leben. Viel schlimmer aber ist es, wenn eine Irrlehre zur Praxis wird – wenn aus einem gelehrtem ein gelebter Nihilismus wird. Denn dieser manifestiert sich als existenzielles Vakuum.

Und genau hier liegt die wirkliche Gefahr: wenn wir den Menschen auf ein Datenmodell verkürzen, nehmen wir ihm letztlich Raum – den Raum für Sinn, für Tiefe; kurz: für all das, was uns letztlich menschlich macht.

Im Original veröffentlicht auf LinkedIn am 7. Februar 2025.
Bild: Viktor Frankl, von Prof. Dr. Franz Vesely / CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons